Arbeitsquarantäne für Pflegepersonal
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Helen
GastHallo an Alle,
ich möchte aus gegebenem Anlass meine aktuellen Erfahrungen als auch meine allgemeinen Gedanken mit euch teilen. Schön, dass es dieses Format hier gibt!
Ich bin Krankenschwester in einem großen Krankenhaus und befinde mich derzeit in Quarantäne, da ich Kontaktperson ersten Grades einer positiv getesteten Kollegin bin. Ich darf mich also bis Tag xy nicht außer Haus bewegen. Die ersten Tage der Quarantäne hatte ich planmäßig frei. Allerdings bestanden diese freien Tage aus Stress, Unklarheit und Chaos, aus täglichen Mails und Telefonaten, die ich führen musste, da niemand so recht wusste, wie denn nun das vorgehen bei „systemrelevantem Personal“ im Falle einer solchen Quarantäneauflage ist. Die Dienste der nächsten zwei Wochen sind nämlich schon geplant und ein Ausfall von gleich vier Schwestern ist mit der aktuellen Personalsituation schwer zu verkraften. Was mich an der ganzen Situation geärgert hat ist, dass diese Pandemie seit nunmehr 10 Monaten besteht und der Informationsfluss zu den jeweiligen Verantwortlichen nicht funktioniert. Niemand fühlt sich verantwortlich für uns. Wir Kolleginnen telefonieren uns durch die Behörden, vom Gesundheitsamt zum Ordnungsamt über das Bürgertelefon zurück zur Stationsleitung, die ebenfalls nicht so richtig weiß, wie vorgegangen werden muss. Denn Quarantäne heißt ja eigentlich Quarantäne, oder? Wer bestimmt das eigentlich? Welche Anordnung ist bindend? Denn bei allen klingelt das Wort „Arbeitsquarantäne“ im Ohr. Darunter versteht man einfach gesagt, dass man nichts darf, außer arbeiten gehen. Und für alle ist es selbstverständlich, dass bei Symptomfreiheit und negativem Zweitabstrich wieder auf Arbeit gegangen wird. Die restliche Isolation im Privaten nimmt man ebenso selbstverständlich hin. Ich denke, dass genau das das Problem in allen Bereichen ist, in welchen man sich um andere kümmert – das schlechte Gewissen wenn man krank macht (weil man krank IST), wenn KollegInnen einspringen müssen, ist zu groß. Deswegen kann man mit uns auch machen was man will, man kann uns so schlecht bezahlen wie man will – die meisten würden den Job weiter machen und das auch noch gerne. Aber es ist doch absurd. Laut Gesundheitsamt habe ich jetzt zwei Wochen frei – eigentlich ziemlich gut. Aber anstatt mich zu freuen und die Beine hochzulegen, mal wieder was spannendes zu lesen, telefoniere ich mit Ämtern, um schnellstmöglich wieder arbeiten zu können. Weil ich selbst den Antrag stellen muss, „von der Quarantäne zur Erhaltung meiner Arbeitsfähigkeit“ befreit zu werden – das meine ich wirklich ernst – nicht etwa mein Chef, der doch auf meine Arbeit angewiesen ist. Und das mache ich an meinen freien Tagen. Und warum? Wegen dem Gewissen. Den PatientInnen und KollegInnen gegenüber. Die Kliniken, die PolitikerInnen wissen das und das macht mich so unfassbar wütend. Weil diese Werte, die Loyalität und unser Gewissen schamlos ausgenutzt werden. Jetzt in Zeiten von Corona als Heldin bezeichnet zu werden, ist lachhaft. Ich bin kein Held. Ich mache einfach nur meine Arbeit und das unter gleichbleibend ungerechten Bedingungen ob mit oder ohne Pandemie. Es wird auch nach Corona nicht anders werden. Die verantwortlichen Politiker schmücken sich mit Boni, die an das Pflegepersonal ausgezahlt werden sollen. Erhalten haben diesen nur etwa 30% (!) der Krankenhäuser. Damit sollen wir uns nun zufrieden geben. Aber wir können nicht einfach unsere Arbeit niederlegen und streiken, denn da sind teils schwerstkranke Menschen, die gepflegt werden müssen. Und damit ist da auch wieder was anderes, was Streiken schwer bis unmöglich macht. Unser Gewissen. Corona offenbart vieles, was die meisten schon längst wissen. Aber was machen wir nun damit? Die Forderung nach höheren Löhnen reicht nicht aus. Es muss sich grundlegend etwas ändern und der erste Schritt wäre bereits, wenn Pflegekräfte erkennen würden, dass sie – auch wenn sie Menschen und keine Autos „reparieren“, auch wenn sie an Betten und nicht am Fließband stehen – ArbeiterInnen sind. Denn auch das Krankenhaus ist im Endeffekt auch nur eine Fabrik, in der es um schwarze Zahlen geht und wo im Sinne des Profits an allen Ecken gespart wird.
Dirk
GastLiebe Helen, vielen Dank für diesen ausführlichen Bericcht. Ich habe aus meinem Bekanntenkreis bereits ähnliches gehört…
Das ist einfach nur Krank wie in der Öffentlcihkeit die MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich als „Systemrelevante Helden“ stilisiert werden und wie dann in der Ralität mit ihnen umgegangen wird. Wir müssen dringend etwas tun, damit das was Helen hier berichtet bald nur noch der Vergangenheit angehört! -
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