Tarifkonflikt: In westdeutscher Textilindustrie erhalten Beschäftigte mehr Lohn. IG Metall mobilisierte Tausende in Dutzenden Betrieben
Dicke Augenränder, müder Blick. Nach einer 14stündigen Sitzung einigten sich die »Sozialpartner« in der westdeutschen Textilindustrie am Dienstag morgen in München auf einen Tarifabschluss. Es war der vierte Anlauf. Die drei Verhandlungsrunden zuvor zwischen der IG Metall (IGM) und dem Gesamtverband »Mode und Textil« wurden ergebnislos abgebrochen.
Denn: Die Gegenseite blieb lange stur. Deren Verhandlungsführer Markus Simon legte ein schlappes Angebot auf den Tisch: Mit nur 1,1 Prozent zum 1. April 2022 sollten sich die Beschäftigten nach 14 Monaten Wartezeit zufriedengeben. Zur Überbrückung der Phase boten die Unternehmer eine Einmalzahlung von 200 Euro an, faktisch eine Nullrunde. In einer zweiten Stufe zum 1. Dezember sollte es 2022 noch einmal 1,2 Prozent obendrauf geben. Für die IGM ein nicht verhandelbares Angebot. Die Gewerkschaft forderte für die rund 100.000 Beschäftigten vier Prozent mehr in der Lohntüte und bessere Altersteilzeitregelungen.
Das nun geschnürte Tarifpaket bleibt unter den Erwartungen, teilweise zumindest: In der Addition wird das Entgelt für die Textilbeschäftigten um 2,7 Prozent erhöht. So steigen die Löhne und Gehälter zum 1. Februar 2022 um 1,3 Prozent und am 1. Oktober 2022 um weitere 1,4 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 25 Monaten bis Ende Februar 2023. Im laufenden Jahr erhalten die Beschäftigten eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 325 Euro. Des weiteren werden die Altersteilzeit ab 2021 und die Beiträge der Unternehmerseite für die Weiterbildung ab 2022 aufgestockt.
Ein Ergebnis, das errungen werden musste. Die Friedenspflicht galt bis Ende Januar. Die IGM mobilisierte Beschäftigte zu Warnstreiks – mit Abstands- und Hygieneregeln. »Die Pandemie hält uns nicht davon ab, für ein Tarifergebnis zu streiten und für Unruhe in den Betrieben zu sorgen«, erklärte der IGM-Verhandlungsführer Manfred Menningen. Aus Sicht des Textilbosses Simon handelten die aufrührerischen Metaller in der »schlimmsten Branchenkrise seit 70 Jahren unverantwortlich«. Der »harte Winterlockdown« habe die Situation der Hersteller weiter verschärft. Die Rücklagen zahlreicher Mittelständler seien aufgebraucht, und die Umsatzeinbrüche in dem Industriezweig lägen bei bis zu 45 Prozent.
Den Vorwurf, »unverantwortlich« im Tarifkonflikt gehandelt zu haben, wollte Gewerkschafter Menningen nicht auf sich sitzen lassen: »Solche Vokabeln helfen nicht weiter, und letztlich haben auch die Arbeitgeber ihre Unterschrift unter den Tarifvertrag gesetzt«, sagte er am Dienstag gegenüber jW. Das Ergebnis sei nach den zähen Gesprächsrunden das Optimum, »was im Hier und Jetzt herzuholen war«, versicherte er.
Unterstützung erhält die IGM von Jutta Krellmann, Sprecherin für Mitbestimmung und Arbeit der Fraktion Die Linke im Bundestag. Es habe sich gezeigt, sagte sie am Dienstag zu jW, »dass auch unter schwierigen Coronabedingungen Beschäftigte durch kreative Aktionen und Warnstreiks Arbeitgeber unter Druck setzen können«.
Dennoch, viele bangen um ihre Jobs. »Die Stimmung in den Belegschaften auf einen Nenner zu bringen, ist schwierig«, räumt Menningen ein. Positive Signale gebe es aber: »Knapp 7.000 Kolleginnen und Kollegen in 65 Betrieben haben sich im Tarifkonflikt aktiv beteiligt«, betonte der Metaller. Wenn es darauf ankomme, seien sie kampfbereit.
Quelle: Junge Welt