50 Jahre wilder Streik bei Ford

Wissenswertes über den wilden Streik im Ford-Werk Köln 1973

Arbeiter:innenklasse in Westdeutschland nach 1945

Die geschichtliche Bedeutung des Ford-Streiks wird deutlich, wenn man die Entwicklungen der Arbeiter:innenklasse und der Klassenkämpfe in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet. Ab 1945 kam es zunächst zu einem starken Aufschwung von Klassenkämpfen, bei denen es etwa um die Kontrolle von Betrieben und Verwaltungen und die Entfernung von Nazi-Funktionären aus ihren Posten ging. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) erhielt in dieser Zeit massiven Zulauf gerade aus den Industriearbeiter-Hochburgen, so etwa der Kohle- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets. Kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter:innen forderten im Winter 1945 die entschädigungslose Enteignung der Krupp-Betriebe und senkten dort die Kohlenproduktion, woraufhin das britische Militär mit der Besetzung der Krupp-Werke reagierte. Unter dem wachsenden Einfluss der Kommunist:innen in den Betrieben kam es 1946/47 auch zu Massenaktionen für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Die westlichen Besatzungsmächte hatten die Bildung von Gewerkschaften bis dahin untersagt und hinausgezögert. Jetzt unterstützten sie die Schaffung der späteren DGB-Gewerkschaften durch rechte Sozialdemokraten wie Hans Böckler und Fritz Tarnow. Die DGB-Gewerkschaften waren von Anfang an als antikommunistische Richtungsgewerkschaften unter sozialdemokratischer Hoheit angelegt, wobei eine Minderheit aus christlichen und konservativen Gewerkschafter:innen einbezogen wurde. Die Gründung des DGB war die organisatorische Grundlage für das Zurückdrängen des kommunistischen Einflusses aus den Betrieben und Gewerkschaften. Die Adenauer-Regierung ging zudem in den 1950er Jahren mit immer stärkeren Repressionen gegen Kommunist:innen vor, bis zum Verbot der KPD 1956. Zusammen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung des Kapitalismus in der BRD — unterstützt nicht zuletzt durch 1,4 Milliarden US-Dollar aus dem Marshall-Plan der USA — die soziale Ausdifferenzierung der Arbeiter:innenklasse und den Rückzug vieler kämpferischer Betriebsaktivist:innen ins Privatleben führte dies zu einem Abebben der Streikkämpfe bis in die 1960er Jahre.

In den 1950er und 1960er schloss die BRD Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Jugoslawien und anderen Staaten. Aus diesen wurden Arbeiter:innen vor allem für ungelernte, schwere und schmutzige Tätigkeiten wie die Fließbandarbeit für die westdeutsche Industrie herangezogen. Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen so rund 14 Millionen Arbeitsmigrant:innen — zunächst größtenteils vorübergehend — nach Westdeutschland. Die Arbeiter:innenklasse differenzierte sich nun weiter aus. Den (tendenziell) deutschen Stammbelegschaften mit privilegierten Arbeitsbedingungen und geordneten Wohnverhältnissen bis hin zum Eigenheim standen die ungelernten migrantischen Arbeiter:innen in den schlecht bezahlten Jobs gegenüber, die zum Teil in Werkskasernen untergebracht waren.

Die Streikwelle in den 70ern

Der Streik bei Ford war kein für sich alleinestehendes Ereignis. Er reiht sich ein in eine ganze Reihe von sogenannten „wilden Streiks“ von 1969 bis 1973. „Wilder Streik“ heißt, dass die Streiks nicht von gelben Gewerkschaften, sondern hauptsächlich von der Selbstorganisation der Arbeiter:innen getragen wurden und sich nicht rein um Tarifverträge bewegten. Dabei wurde das extrem eingeschränkte Streikrecht der BRD offensiv gebrochen und statt von sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen kann man hier von echten Klassenkämpfen sprechen, bei denen über extrem begrenzte Reformforderungen hinausgegangen und teilweise die Machtfrage im Betrieb gestellt wurde.

Begonnen hatte diese Streikwelle 1969 mit den sogenannten „Septemberstreiks“. Dort legten als erstes die Arbeiter:innen der Hoesch AG in Dortmund die Arbeit nieder und setzten so sehr schnell eine Lohnerhöhung von 30 Pfennig die Stunde durch. Danach folgten weitere Betriebe, vor allem aus der Stahl- und Bergbauindustrie. Alleine im Ruhrgebiet streikten zwischen dem 02. und 09. September 140.000 Arbeiter:innen. In ganz Deutschland wurden für über acht Millionen Arbeiter:innen Lohnerhöhungen durchgesetzt.

Das ganze fand außerhalb der offiziellen Tarifverhandlungen zwischen DGB und dem Kapital statt und auch ohne die Beteiligung dieser angeblichen Gewerkschaften.
Die DGB-Gewerkschaften vertraten schon damals die These, dass man in der Krise nicht streiken könne und schlossen sich mit Kapital- und Staatsvertretern zu einer „konzertierten Aktion“ zusammen. Ziel dieses Sozialpartnerschaftlichen Zusammenschlusses war der Schutz „der deutschen Wirtschaft“ in der damaligen Rezession. Auf gut deutsch: Die Interessen der Arbeiter:innen wurden zugunsten der deutschen Monopole verraten.

Daneben war bedeutend, dass die Arbeiter:innen zu der Zeit stärker über eigene politische Organisationen verfügten und sich auch in den Betrieben klassenkämpferische Arbeiter:innen:innen gemeinsam mit ihren Kolleg:innen auf die eigene Kraft gestützt organisierten. Darauf werden wir später noch stärker eingehen.

Der Fordstreik

Struktur im Betrieb

Entgegen der überwiegenden Normalität in der Branche gab es bei Ford keine Akkordarbeit, beziehungsweise keinen Akkordlohn. Grund dafür waren vor allem die fließend ineinander übergehenden Produktionsabläufe.
Das bedeutet aber nicht, dass die Situation der Arbeiter:innen dadruch besser war. Stattdessen hatte Ford nämlich schon früh ein kompliziertes Lohnsystem mit Anreizen wie bestimmten Prämien und Bestrafungen wie Versetzungen an schlechtere Maschinen bis hin zur Entlassung etabliert. So konnte auch ohne Akkordlohnsystem ein hoher Arbeitsdruck etabliert werden.

Die Struktur im Ford-Betrieb wies damals gewisse Besonderheiten auf. Die einzelnen Arbeitsbereiche waren fast vollständig nach Herkunft getrennt. Die körperlich anstrengendere und als schlechter wahrgenommene „einfache Produktionsarbeit“ wurde vor allem von Gastarbeiter:innen übernommen. Das bedeutet vor allem die Arbeit am Fließband und den normalen Maschinen. Die deutschen Arbeiter:innen waren vermehrt in den „Facharbeitsbereichen“ tätig, also Springer:innen, Einrichter:innen, Schlosser:innen oder an Spezialmaschinen.

Auch die Betriebsversammlungen waren nach Nationalität getrennt und fanden in dreifacher Version statt. Es gab jeweils eine für die türkischen und italienischen Kolleg:innen, die damals die beiden größten Anteile der Gastarbeiter:innen stellten. Die dritte war für die deutschen Angestellten, hier waren auch die Meister und die Produktionsabschnittsleiter dabei.
Der Ablauf war hier meistens derselbe: Zuerst sprach die Geschäftsleitung, der Ford-Gesamtbetriebsrat, der Betriebsrat des Werks in Köln-Niehl und ein Vertreter der IG-Metall. Andere Kolleg:innen dürften nur sprechen, wenn sie ihre Beiträge vorher dem Betriebsrat gegeben hatten.

Die sozialpartschaftlichen Strukturen waren hier besonders stark ausgeprägt und die IG-Metall gab sich kaum Mühe um das zu verstrecken. Ab und zu gab es kleine Zugeständnisse mit denen die IGM prahlen konnte, im Gegenzug erlaubte sie der Geschäftsführung alle erwünschten Überstunden und nahm Stückzahlerhöhungen und weitere Verschärfungen einfach entgegen. Verhandlungen fanden am Tisch im Hinterzimmer ohne Einblicke der Kolleg:innen statt.
Der Konzern machte große Integrationsbemühungen um die Betriebsräte. Beförderungen, Geschenke und Lehrgänge der Geschäftsleitung zeigten Erfolg und sicherten die Arbeit der IG- Metall-Betriebsräte zugunsten der Kapitalist:innen.

Das ganze war nicht nur in Köln so, sondern wurde im gesamten Konzern ähnlich angewandt. Hier gab es aber sowieso eine große Konzentration von Funktionen auf Einzelpersonen und eine hohe Personalunion. Ein Paradebeispiel ist der damalige Vorsitz des Gesamtbetriebsrats bei Ford, Ernst Lück: Neben dieser Position war er ständig beratendes Mitglied der Vertrauenskörper-Leitung, Mitglied der Kölner IGM-Ortsverwaltung, Vorstandsmitglied der IGM, Aufsichtsrat des Ford-Konzerns (!), Aufsichtsrat der DGB-eigenen „Bank für Spareinlagen“ und SPD-Stadtrat.
So wurde zusätzlich gesichert, dass der Gewerkschaftsapparat und Betriebsrat fest in der Hand sozialdemokratischer Funktionäre lagen, deren Lebensrealität weitaus näher beim Kapital als bei den Bandarbeiter:innen war.

Situation der Gastarbeiter:innen

Die Situation der Gastarbeiter:innen war nochmal deutlich schlechter als die ihrer deutschen Kolleg:innen.
Aufgrund des niedrigeren Lohns in der Herkunftsländern war es möglich, die ausländischen Kolleg:innen stärker auszubeuten, was zu der oben genannten Arbeitsteilung nach Nationalität führte. An den Endmontagebändern, die vor allem mit türkischen Kolleg:innen besetzt waren, lag der Lohn 20 Prozent niedriger als im restlichen Werk. Zusätzlich waren sie einem besonderen Arbeitsdruck ausgesetzt und mussten eine rassistische Unterdrückung im Betrieb aushalten, zum Beispiel schlechtere Behandlung durch die deutschen Antreiber und Kontrolleure. Rassismus wurde offensiv ausgenutzt um die Belegschaft zu spalten.

Die Gastarbeiter:innen verfügten meist nicht über eigene Wohnungen, sondern waren in Wohnkasernen auf oder in der Nähe des Betriebsgeländes untergebracht. Dort lebten etwa 7000 türkische, 600 italienische und 200 jugoslawische Arbeiter:innen. Wie man sich vorstellen kann, waren die Wohnverhältnisse dort alles andere als luxuriös. Ein besonderes Problem dabei war, dass der Verlust des Arbeitsplatzes auch unmittelbar Obdachlosigkeit bedeutete. Auch die Gastarbeiter:innen außerhalb der Werkswohnungen hatten es nicht viel besser. Sie lebten vorrangig im heruntergekommenen Altstadtgürtel und zahlten dabei noch um ein Drittel höhere Mieten als die deutschen Nachbar:innen.

Auch die IG Metall wirkte an der Abschottung der Gastarbeiter:innen und der Spaltung der Arbeiter:innen mit. Es wurden Infos meist nur auf deutsch weitergegeben und die ausländischen Kolleg:innen nicht mit einbezogen. Nicht nur dass, als sich auf Reaktion darauf türkische Kolleg:innen zur Betriebsratswahl aufstellten, wurden sie aktiv sabotiert. Mehmet Özbagçi hatte fast ein drittel der Gesamtstimmen erzielt, die Gesamte IG-Metall Liste insgesamt nicht mal doppelt so viel. Der IG-Metall geführte Betriebsrat stellte ihn jedoch entgegen seinem Recht nicht frei und der oben vorgestellte Gewerkschaftsbonze Ernst Lück kommentierte das mit „Wir haben ihn nicht freigestellt, weil er keine Ahnung hat“. Das zeigt nochmal eindrücklich wieviel die IG-Metall auf die Meinung der Kolleg:innen und die ausländischen Kolleg:innen insgesamt gegeben hat.

Vor allem die türkischen Kolleg:innen waren oft nur einmal im Jahr in der Heimat. Um dort überhaupt ein- bis zwei Wochen bleiben zu können mussten sie unbezahlten Urlaub nehmen, weil sie oft zwei Wochen unterwegs waren und die bezahlten Urlaubstage nicht ausreichten.
Damit kommen wir auch schon zum Hauptauslöser des Streiks.

Auslöser des Streiks

Aber erstmal der Reihe nach: Anfang der 70er verschlechterte sich die Lage der Arbeiter:innen drastisch. Die Wirtschaftskrise war in vollem Gange, es gab massive Preisexplosionen und Steuererhöhungen und die gelben Gewerkschaften weigerten sich, sich für bessere Löhne einzusetzen und trugen extrem schlechte Tarifergebnisse mit. Diese Krisenentwicklung brach endgültig mit dem sogenannten „Wirtschaftswunder“ nach dem zweiten Weltkrieg. Zusätzlich wurde der Arbeitsdruck im Betrieb kontinuierlich angezogen.

1970 gab es in dem Werk schon einmal einen Streik. Die IG Metall wollte eigentlich nur einen zweistündigen Warnstreik durchführen, die Kolleg:innen streikten aber einfach den ganzen Tag weiter. Von da aus wurden von der IGM nichtmal mehr Warnstreiks in dem Werk duchgeführt, weil sie Angst vor dem Kontrollverlust hatten.

Kurz vorher gab es außerdem einen hauptsächlich von Migrant:innen getragenen Streik bei Pierburg Neuss und Hella, zwei Automobilzulieferern. Das fand auch in der Community in Köln Widerhall. Genauso erfuhren in der weltweiten Welle der Klassenkämpfe auch die Befreiungsbewegungen in der Türkei einen Aufschwung und prägten so teils schon vorher das Bewusstsein der Gastarbeiter:innen.

Schon in den Wochen vor dem Streik forderte der klassenkämpferische Zusammenschluss „Kölner Fordarbeiter“ 60 Pfennig mehr pro Stunde für alle.

Ende August 1973 gab es dann einen tiefen Einschnitt. Wie immer waren viele ausländische Kolleg:innen länger im Urlaub. Das wollte die Betriebsleitung zum Vorwand nehmen, um 500 türkische Kolleg:innen einfach auf die Straße zu setzen. Zusätzlich sollten die Übriggebliebenen einfach die Arbeit der hunderten Entlassenen mitmachen!

Dieses Zusammenspiel der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage der Arbeiter:innen, einem immer höheren Arbeitsdruck und der Spaltung und Hetze gegen Gastarbeiter:innen führte letztlich dazu, dass die Stimmung für massenhafte kämpferische Aktionen gegeben war.

In einem Flugblatt der „Kölner Fordarbeiter“ heißt es:
„Auch Betriebsrat und Gewerkschaftsbosse haben uns verschwiegen, dass zu dieser Zeit schon 300-500 Kollegen entlassen worden waren! (…) Auf der türkischen BV (Betriebsversammlung, A.d.R.) brachten die Kollegen diese Riesensauerei auf den Tisch. Sie erzählten, dass der Großteil der Gefeuerten Krankmeldungen hatte und diese auch rechtzeitig abgeschickt hatte. (…) Wir müssen uns mit den Entlassenen solidarisieren! Alle wissen, dass 4 Wochen Urlaub zu wenig ist. (…) Und die Rausschmisse treffen die deutschen Kollegen genauso. (…) Nur ein Streik wird uns die 60 Pfennig mehr für alle bringen und FORD zwingen die entlassenen Kollegen wieder einzustellen.“

Ablauf

Einen Tag später, am 24.08.1973 begann dann auch schon der Streik. Den ersten Schritt machten die hauptsächlich aus der Türkei stammenden Arbeiter:innen aus der Endmontage-Halle. Sie sollten dort die Arbeit der Entlassenen mitmachen und sahen sich dort also noch mehr Ausbeutung und Arbeitshetze ausgesetzt. Sie weigerten sich, diese Mehrarbeit zu übernehmen und führten stattdessen eine Demo über das Werksgelände durch, mit der sie die Kolleg:innen aufforderten ebenfalls die Arbeit niederzulegen. Ein Großteil der Spätschicht folgte diesem Aufruf und Tausende versammelten sich vor dem Verwaltungsgebäude. Hier wurden zunächst drei zentrale Forderungen aufgestellt:
• Rücknahme der Entlassungen
• 1 DM mehr für alle
• Herabsetzung der Bandgeschwindigkeit
Hier waren auch mehrere hundert deutsche Kolleg:innen dabei.

Die erste Reaktion kam vom IG-Metall geführten Betriebsrat. Dieser behauptete, bereits zu verhandeln und versuchte die Streikenden zurück zur Arbeit zu kommandieren. Dem wurde natürlich nicht gefolgt.

Stattdessen wurde weiter über das Gelände demonstriert und auch aus den übrigen Hallen der größte Teil der Kolleg:innen für den Streik mobilisiert. Zusammen zog man wieder vor das Lohnbüro, wo nun auch die Geschäftsleitung begann Reden zu schwingen, die hier tatsächlich auch mal übersetzt wurden. Die Verlautbarungen wurden als leeres Gerede abgetan und es wurde weiterdemonstriert. Schließlich wurde die gesamte Schicht abgeblasen und alle gingen nach Hause.

Übers Wochenende wurde im Werk nicht gearbeitet, doch auch in dieser Zeit ging es weiter. Die „Kölner Fordarbeiter“ verteilten in den Wohnheimen Flugblätter, in denen die Forderungen erweitert wurden und der Streik als richtiges Mittel bestärkt wurde. Zu den bisherigen drei Forderungen kamen sechs Wochen Urlaub, Senkung der Arbeitsnorm, mehr Arbeiter:innen an Maschinen und Bänder und 600 DM Existenzlohn für Lehrlinge hinzu. Weiter hieß es: „Es darf keine faulen Kompromisse zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung geben! Nicht der Betriebsrat, sondern unser Streikkomitee wird verhandeln, nicht hinter verschlossenen Türen, sondern vor unseren Augen.“

Am Montag den 27.08. startete der Tag mit einer von Betriebsrat und Geschäftsleitung einberufenen Versammlung, wo angebliche Verhandlungsergebnisse verkündet werden sollten. Kaum jemand erschien dort. Es gab morgens die erste Verhaftung, der Redner von Freitag, Dieter Heinert, wurde festgenommen, mit Hausverbot belegt und vom Gelände geschmissen. Heinert war ein Anarcho-Syndikalist und später Mitglied der Streikleitung.

Er wurde allerdings von den Streikenden direkt wieder ins Werk geholt. Fast alle Hallen waren beteiligt, bei den überwiegend von deutschen Kolleg:innen besetzten Hallen gab es allerdings Schwankungen.

Etwa drei Stunden nach eigentlichem Arbeitsbeginn begann die erste richtige Streikversammlung. Hier sprachen der türkische Kollege Baha Targün, ein Italiener, ein weiterer Türke und ein Deutscher. Ein Redner der IG-Metall wollte von einem Holzgerüst aus sprechen, dieses wurde aber von türkischen Kolleg:innen unter Applaus zum Einsturz gebracht.

In der darauffolgenden Wahl der Streikleitung wurden neben Baha Targün noch acht weitere türkische Arbeiter, zwei aus Italien, zwei deutsche und ein jugoslawischer Kollege gewählt.
Es waren hier mehrere fest organisierte Betriebsaktive vertreten: Baha Targün und Dieter Heinert (Lehrling und einer der beiden deutschen in der Streikleitung) waren zum Beispiel in der Kommunistischen Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) aktiv.

Es wurden drei Regeln für den Streik bestimmt:
• Kein Alkohol
• Gewalt nur gegen Provokateure
• Keine Zerstörung von Maschinen

Der Betriebsrat übernahm in der Verhandlungen die Seite der Geschäftsleitung. Er weigerte sich den Streik anzuerkennen, da er illegal sei. Die Verhandlungen wurden zum Schutz der Streikleitung von 20 Kollegen begleitet und es wurde gedroht, das gesamte Gebäude zu stürmen wenn sich Baha Targün nicht halbstündlich am Fenster zeigen kann.
Es gab keine konkreten Ergebnisse.

Der nächste Schritt von Konzernseite war der Versuch die Arbeiter:innen aus dem Werk zu bekommen. Über alle möglichen Kanäle, selbst in Bussen und Bahnen, wurde verbreitet, dass im Werk nicht gearbeitet würde und es wurde versprochen, dass die die nach Hause gingen ihre Schicht bezahlt bekämen. Daraufhin wurden die Werkstore besetzt und so gelang es doch noch Teile der Spätschicht ins Werk zu holen.

Um 20 Uhr forderte diesmal die Polizei auf, das Werk zu verlassen, und drohte es anderenfalls zu räumen. Die Streikenden blieben davon unbeeindruckt und beschlossen das Werk besetzt zu halten und dort auch zu übernachten. Es wurden Delegationen organisiert, um die verstreuten Kolleg:innen zu informieren, es wurde Essen besorgt und neben Demos und Versammlungen gab es auch Kultur- und Tanzveranstaltungen. Etwa 400 Arbeiter:innen blieben über Nacht.

Am nächsten Tag begann eine politische Gegenoffensive von Gewerkschaften, Konzern und Presse. Unter den deutschen Kolleg:innen zeigte dies einige Wirkung. Die IG Metall versuchte wieder die Führung zu übernehmen und mobilisierte mit den Worten „um zu sehen, wer die Macht im Betrieb hat“ vor das M-Gebäude. Die 400 bis 500 hauptsächlich Deutschen, die sich dem Aufruf anschlossen, gingen in einer dort mit tausenden stattfindenden Streikversammlung völlig unter.

Es gab einen erneuten Versuch die Streikenden aus dem Werk zu bekommen, diesmal von der IG Metall aus. Diese wollte eine angebliche Demonstration in der Innenstadt durchführen. Die Streikleitung beschloss im Werk zu bleiben und auch dieser Versuch ging nicht auf.

Zur Spätschicht gab es den ersteren größeren Polizeieinsatz, das Werkstor wurde von der Polizei besetzt um die Spätschicht am Betreten des Werkes zu hindern. Als sie sich nach Aufforderungen nicht entfernten, wurde das Tor einfach ausgehängt. Auch die darauffolgenden Gewalttätigkeiten von Polizei und Werkschutz konnten die Spätschicht nicht aufhalten. Ein Werkschützer, der die Streikenden angriff musste nach der Antwort darauf ins Krankenhaus, was von der Konzernpresse als Angriff von Türken auf einen Arbeiter dargestellt wurde.

Die Verhandlungen zwischen Streikleitung und Betriebsrat am Abend sollten wohl, wie Aussagen vom Personaldirektor Bergemann im Stadtanzeiger vermuten lassen, dazu genutzt werden, die Streikleitung zu verhaften. Die Vorsichtsmaßnahmen der Kolleg:innen ließen dies aber nicht zu.

Es wurde beschlossen nicht weiter mit dem Betriebsrat zu reden und die Losung „Sendika satilmis“, „Die Gewerkschaft ist käuflich“, herausgegeben.

Am Mittwoch zeigten die Spaltungsversuche von Betriebsleitung und Gewerkschaft erste Erfolge und während sich die türkischen Arbeiter:innen weiter aktiv beteiligten blieb ein Teil der deutschen Arbeiter:innen vor dem Werk.
Der Betriebsrat gab ein „Verhandlungsergebnis“ von 280DM, Bezahlung der Streiktage und Rücknahme der Entlassungen wo Entschuldigungen vorlagen bekannt. Die Reaktionen waren gemischt, doch der größere Teil pfiff den Betriebsrats aus und auf einer folgenden Versammlung wurde beschlossen, den Streik bis zur Erfüllung aller Forderungen weiterzuführen.

Ein interessanter Umstand ist, dass hier auch ein Vertreter des türkischen Konsulats sprach: „Brüder, ihr habt für eine gerechte Sache gekämpft. Lasst euch nicht von kommunistischen Agitatoren betrügen. Baha Targün ist ein Staatsfeind, der in der Türkei von der Polizei gesucht wird.“, dazu die Aufforderung den Streik abzubrechen. Auch er wurde ausgebuht.

Am Abend gab es schon deutliche Anzeichen die auf eine gewaltsame Zerschlagung des Streiks hindeuteten. Es wurden von vorhergehenden Aktionen in der Stadt bekannte antikommunistische Schläger gesichtet, Provokateure zerstörten die übriggebliebenen Megafone und es wurden Zivilpolizisten in Meisterkitteln gesichtet. Außerdem gingen Berichte über Busse mit Streikbrechern aus Belgien rum.

Am Donnerstag folgte dann das, was sich am Abend vorher abgezeichnet hatte. Es wurde eine „Gegendemo“ inszeniert, die aus verkleideten Zivilpolizisten und Nazischlägern bestand. Der Zug wurde durchgelassen, begann dann aber von sich aus die Streikenden anzugreifen und wurde bald darauf von uniformierter Polizei unterstützt. Baha Targün und andere Mitglieder des Streikkomitees wurden als Rädelsführer verhaftet.
Den ausländischen Arbeiter:innen wurde über Lautsprecherdurchsagen mit Abschiebung gedroht, wenn sie nicht sofort das Werksgelände verlassen.

Natürlich war auch bei dieser sogenannten „Gegendemo“ der Betriebsrat vorne mit dabei. Von Seiten der Geschäftsleitung hieß es in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau dazu: „Insbesondere danke ich den Mitgliedern des Betriebsrates, die sich in vorbildlichem körperlichen Einsatz in Zusammenarbeit mit Polizei und Geschäftsleitung darum bemüht hatten, die Rädelsführer dingfest zu machen.“ Das fasst in einem Satz doch mal sehr schön den Charakter dieser „Gewerkschaften“ zusammen.

So sah also das Ende des Streiks aus: Mit Gewalt erstickt, die Forderungen unerfüllt. Trotz allem nicht Folgenlos, wie wir weiter unten ausführen.
Für viele mag jetzt die Frage im Raum stehen: War dieser Streik ein Erfolg oder Misserfolg?
Als klassenkämpferische Arbeiter:innen ist unser Ziel nicht allein kleine Verbesserungen in diesem System zu erlangen und so unsere Ausbeutung vorübergehend etwas abzuschwächen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, und in diesem Sinne wollen wir unsere Kämpfe führen und auch diesen Streik bewerten. Wir denken, ein solcher Streik wie der Ford-Streik ist ein Erfolg, weil er das Klassenbewusstsein der Beteiligten stärkt und die Kampferfahrung unserer Klasse steigert. Das beides ist einerseits unerlässlich für unseren Kampf für eine sozialistische Gesellschaft und andererseits sind es beide Dinge die die zahnlosen Tarifverhandlungen der gelben Gewerkschaften nicht erreichen können, im Gegenteil. Deswegen ist der Ford-Streik für uns so ein wichtiges Beispiel, dass uns einerseits Vorbild ist, andererseits ermöglicht aus dort begangenen Fehlern und Schwächen zu lernen.

Einschub: Frauen beim Streik

In diesem Text schreiben wir durchgehend von Arbeiter:innen. Das mag im ersten Moment verwundern, sind doch auf den bekanntesten Bildern vom Streik nur Männer zu erkennen. Tatsächlich waren in den meisten Produktionshallen bei Ford nur Männer tätig, es gab aber auch Ausnahmen. In der Polsterei beispielsweise waren überwiegend Frauen tätig.

Die Quellenlage die uns heute vorliegt, lässt uns leider nicht viel über die Beteiligung von Frauen am Streik aussagen. Das gilt sowohl für die Arbeiterinnen, als auch für die Unterstützerinnen. Das offenbart auch eine Schwäche der Bewegung in dieser Frage, die es nicht geschafft hat, oder nicht Willens war, Frauen in den Kampf voll mit einzubeziehen. Dennoch gibt es Bildmaterial, dass die Beteiligung einzelner Frauen belegt.

Ein Beispiel für das Potential der Frauen in Betriebskämpfen ist zum Beispiel der Streik der Näherinnen bei Ford in London 1968.

Organisierte Arbeiter:innenschaft und gelbe Gewerkschaften

Eine der wichtigsten Lehren ist die Notwendigkeit, eine eigene klassenkämpferische Organisierung in den Betrieben aufzubauen. Der Ford-Streik war keinesfalls einfach ein spontanes Ereignis, es gab jahrelange Vorarbeit von verschiedensten klassenkämpferischen und kommunistischen Gruppen. Die KPD/ML, KPD/AO, Gruppe Arbeiterkampf, Anarchosyndikalisten und ausländische revolutionäre Gruppen wie Lotta Continua machten dort lange vorher schon Kleinarbeit, brachten Betriebszeitungen raus und verteilten Flugblätter und schafften so das Bewusstsein unter den Kolleg:innen, dass diese kollektive Aktion ermöglichte. Genauso waren organisierte und klassenbewusste Personen in der Streikleitung eine Vorraussetzung für die Durchführung der Aktion.
Ein weiterer Grund, der in der Schilderung der Abläufe schon deutlich geworden sein dürfte, ist, dass die gelben DGB-Gewerkschaften eben keine klassenkämpferischen Organisationen sind oder sein können, sondern Organe der „Sozialpartnerschaft“ und damit im Zweifel an der Seite des Kapitals gegen die eigenständigen Kämpfe unserer Klasse vorgehen.

Nazis als reaktionäre Avantgarde & Rassistische Hetze

Eine weitere Lehre aus diesem Streikkampf ist, dass Antifaschismus immer ein Teil unserer Betriebsarbeit sein muss und wir generell nicht den Fehler begehen dürfen ökonomische und politische Kämpfe zu trennen.
Einerseits zeigt sich das in der Rolle die mutmaßliche Faschisten als Schläger bei der Zerschlagung des Streiks eingenommen haben sollen. Viel schlimmer war aber die Spaltung unter den Arbeiter:innen selber, die durch die rassistische Hetze bewirkt wurde. Einerseits schon die ganze Zeit über den Chauvinismus der durch die deutschen Vorgesetzten ausgelebt wurde, einerseits über eine Art paternalistischen Rassismus gegenüber den angeblich dummen Gastarbeiter:innen, aber auch offener mit Witzen dass man „Eselstreiber“ sei und ähnliches. Damit wurde von Anfang an die Kampfkraft der Kolleg:innen, die eben in der Einheit liegt, geschwächt. Während des Streiks kochte das ganze nochmal viel extremer auf und Gewerkschaft, Betriebsleitung und Konzernpresse fuhren die nationalistische Hetze extrem hoch. Es war die Rede von „Türken-Terror“ und die BILD titelte nach der Zerschlagung mit „Deutsche Arbeiter kämpften ihre Fabrik frei“. Diese Hetze hatte durchaus ihre Wirkung, was sich an der steigenden Passivität der deutschen Kolleg:innen zeigte und an dem kleineren Teil der tatsächlich zu Streikbrechern wurde.
Hier sieht man glasklar, dass Rassismus eine arbeiter:innenfeindliche Ideologie ist, die bewusst eingesetzt wird um die Einheit unserer Klasse zu zerstören. Genau diese Einheit müssen wir dem entgegensetzen und es durch gemeinsame Kampferfahrungen schaffen nationalistische Vorurteile zu durchbrechen.

Soziale Folgen der Streikwelle

Von Gastarbeiter:innen zu Migrantischen Arbeiter:innen

Der Ford-Streik reiht sich in eine Welle von über dreihundert wilden Streiks im Jahr 1973 ein, dem Jahr der großen Wirtschaftskrise, welche den Nachkriegsboom nach 1945 beendete und eine Phase der Rationalisierung und des Arbeitsplatzabbaus einleitete. An der Streikwelle waren Schätzungen zufolge 275.000 Arbeiter:innen direkt beteiligt. Den Streikenden gelang es zum Teil, Forderungen wie „1 DM mehr für alle“ durchzusetzen, von denen vor allem die Arbeiter:innen in den schlecht bezahlten Jobs profitierten. Dazu zählten auch die Gastarbeiter:innen. Trotz einer massiven rassistischen Hetze und der brutalen Zerschlagung von Streiks wie bei Ford Köln führte die Streikwelle letztlich auch zum Ende der Kasernierung von Arbeitsmigrant:innen auf den Werksgeländen. Der Umzug der migrantischen Arbeiter:innen in „normale“ Wohnhäuser, wenn er sich auch zum Teil auf bestimmte Stadtteile begrenzte, begründete eine deutliche Veränderung in ihrer sozialen Lage. Das Verbleiben in Westdeutschland einschließlich des Nachzugs der eigenen Familien wurde zur Perspektive für eine Vielzahl von Gastarbeiter:innen, während die BRD als Reaktion auf die Krise einen Anwerbestopp für die meisten Herkunftsländer und Branchen beschloss. Damit veränderte sich auch die soziale und politische Struktur der Arbeiter:innenklasse in Deutschland. Ein Teil der migrantischen Arbeiter:innen stieg in bessere Jobs auf, brachte es ebenfalls zu Eigenheimen oder machte sich sogar als Unternehmer:innen selbständig. Zugleich gingen Staat, bürgerliche Parteien und Gewerkschaften zunehmend dazu über, die migrantischen Arbeiter:innen zum Teil politisch zu integrieren, die sie vorher systematisch ausgegrenzt hatten. Der DGB etwa gründete in den 1980er Jahren den Verein „Mach meinen Kumpel nicht an! — für Gleichbehandlung, gegen Rassismus e.V.“. Dass die antirassistische Symbolpolitiik jedoch schnell an ihre Grenzen stößt, zeigte sich zum Beispiel 2007 am Fall des antifaschistischen Gewerkschafters Angelo Lucifero. Dieser hatte sich bei einem Nazi-Angriff mit einer Schreckschusspistole verteidigt und wurde dafür nicht nur mit staatlicher Repression überzogen, sondern auch von ver.di fristlos entlassen.

Was wir vom Ford-Streik lernen können

Parallelen zu heute

Man mag dazu geneigt sein zu denken, dass die Zeit der Gastarbeiter:innen ja vorbei ist und die Produktion heute eh ganz anders aufgestellt ist. Gibt es also heute überhaupt noch die Grundlage für so etwas wie dem Ford-Streik?

Nunja, zunächst einmal lässt sich feststellen, dass ein ganzer Teil der Arbeiten die damals vorwiegend von den türkischen Kolleg:innen ausgeführt wurde tatsächlich kaum noch in deutschen Produktionshallen zu finden ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Arbeit nicht mehr gemacht wird oder sie unter besseren Bedingungen stattfindet. Stattdessen ist ein Großteil der Industrieproduktion deutscher Monopole einfach ins Ausland verlagert worden. Was früher in einem einzelnen Werk stattfand ist jetzt über lange Produktionsketten vorwiegend in abhängigen Ländern mit billiger Arbeitskraft verteilt. Das bietet uns als Arbeiter:innenbewegung neue Schwierigkeiten aber auch neue Chancen. Genauso wie die Produktion internationalisiert wurde muss jedenfalls auch unser Kampf immer eine internationale Perspektive einnehmen.

Der Punkt zum Preis der Arbeitskraft in abhängigen Ländern spielt aber auch in Deutschland heute eine große Rolle. Auch wenn es die „klassische Gastarbeit“ in der Form tatsächlich nicht mehr gibt, gibt es immer noch eine starke Arbeitsteilung nach Herkunft. Diese orientiert sich an dem Preis der Arbeitskraft, der sich im Lohn äußert, in den Herkunftsländern der migrantischen Arbeiter:innen.
Hier lässt sich die grobe Entwicklung über die letzten Jahrzehnte nachzeichnen: Von Südeuropa (Italien) und Westasien (Türkei), zu Osteuropa (Polen, Tschechien) zu Südosteuropa (Bulgarien, Rumänien).

Auch heute spielt diese Arbeitsteilung also noch eine große Rolle und äußert sich vor allem in den Konstrukten rund um Saisonarbeit und Leiharbeit. Beispiele dafür sind Erntehelfer:innen in der Landwirtschaft, Hilfsarbeit auf dem Bau, Putzgewerbe, Logistik und von der Stammbelegschaft getrennte Industriearbeit. Hier gibt es immer noch ziemlich ähnliche Erscheinungen wie damals, also weniger Schutz und Rechte für die migrantischen Arbeiter:innen, das haben wir vor kurzem beim Arbeitsmord am Leiharbeiter Refat Süleyman bei ThyssenKruppSteel in Duisburg gesehen, und Kasernierung von Saisonarbeiter:innen.

Zum Teil gibt es dadurch auch besondere Dynamiken.

Wir wollen hier zwei Beispiele für wilde Streiks aus den letzten drei Jahren nennen.
Das erste Beispiel ist der wilde Streik bei Spargel Ritter in Bornheim 2020. Dort streikten bulgarische Saisonarbeiter:innen die als Erntehelfer:innen tätig waren, nachdem ihre Löhne nicht ausgezahlt wurden und sie zudem in menschenunwürdigen Unterkünften leben mussten. Unterstützt wurden sie dabei vor allem von der anarchosyndikalistischen FAU. Letztendlich konnte eine Auszahlung der Löhne erwirkt werden und es wurde viel Öffentlichkeit für die Arbeitsbedingungen bei der Spargelernte geschaffen.

Das zweite Beispiel das sich nennen lässt sind die wilden Streikaktionen beim Fahrradlieferdienst Gorillas in Berlin, die dort nach der fristlosen Entlassung des Kollegen Santiago begonnen haben und wo noch heute Protestaktionen organisiert werden.

Wir sehen also, die Internationalisierung der Produktion, die imperialistische Arbeitsteilung und rassistische Rechtfertigung dieser müssen uns auch heute beschäftigen, wenn nicht noch mehr als damals.

Auf die eigene Kraft vertrauen!

Der Ford-Streik war ein wilder Streik besonders unterdrückter Teile der Arbeiter:innenklasse unter der Führung kommunistischer Betriebsaktivist:innen aus verschiedenen Organisationen. Die Gastarbeiter bei Ford sahen sich einer vereinigten Front aus Kapital, Staat, Medien, Gewerkschaften und Nazi-Werkschützern entgegen. Obwohl der Streik am Ende mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurde, führte er im Rahmen der wilden Streikwelle von 1973 zur dauerhaften Verbesserung der materiellen Lage migrantischer Arbeiter:innen und zwang Staat, Unternehmen und Gewerkschaften, ihre Taktik im Umgang mit den besonders ausgebeuteten Teilen der Arbeiter:innen anzupassen.

Auch für heute hält dieser historische Streik eine Reihe von wichtigen Lehren bereit:

• Die gelben DGB-Gewerkschaften spielten damals und heute die Rolle einer Agentur des Kapitals und arbeiten für den Zweck, Streikkämpfe zu verhindern oder unter eigener Kontrolle und in sehr engen Grenzen zu halten. Arbeiter:innen und betriebliche Aktivist:innen müssen deshalb mit der Vorstellung und Praxis brechen, dass die DGB-Führungen und die Arbeiter:innenklasse auf derselben Seite stünden, dass man sich den DGB-Gewerkschaften unterordnen oder Arbeiter:innenkämpfe nur in ihrem Rahmen führen könne. Stattdessen müssen wir uns als Grundlage für den Aufbau einer klassenkämpferischen Arbeiter:innenbewegung vor allem eigene Organisationen in den Betrieben schaffen. Die Frage des Umgangs mit gegebenenfalls vorhandenen DGB-Strukturen ist auf dieser Grundlage immer eine konkrete und taktische Frage.

• Wir müssen die engen Spielregeln des verstümmelten Streikrechts und der alljährlichen Tarifverhandlungsrituale sprengen. Bei diesen organisieren die DGB-Gewerkschaften seit Jahrzehnten aktiv die Senkung der Reallöhne für die Arbeiter:innenklasse. Für eine klassenkämpferische Arbeiter:innenbewegung sind dagegen alle Kampfmaßnahmen legitim, die die Interessen der Arbeiter:innen voranbringen und uns neue Spielräume im Klassenkampf verschaffen.

• Die Solidarität unter den Arbeiter:innen ist international und unabhängig davon, welchen Arbeitsvertrag wir haben. Das heißt, die Nationalität und der rechtliche Status von Kolleg:innen spielen für uns keine Rolle bei unseren Kämpfen. Wir müssen dafür kämpfen, die Spaltung der Belegschaften nach Herkunft, nach Standort sowie nach Stamm- und Leihbeschäftigten, Arbeiter:innen mit Werkverträgen usw. zu überwinden. Der Kampf um die Einheit der Arbeiter:innenklasse hat strategische Bedeutung für die Entwicklung der Klassenkämpfe.

• Der Kampf im Betrieb ist immer auch politisch. Die Frage des Arbeitslohns ist nicht von der Frage der Unterbringung, des rechtlichen Status usw. getrennt. Mit einer schematischen Trennung von politischem und ökonomischen Kampf legen wir uns nur selbst Fesseln an. Je politischer unsere Strukturen in den Betrieben sind, desto besser können wir die Einheit zwischen den Beschäftigten, zwischen den Betrieben und zwischen der Arbeiter:innenklasse und anderen Teilen der Gesellschaft herstellen.