Nach der Übernahme des Getränkelieferanten „Flaschenpost“ durch die Dr. Oetker-Gruppe und die Zusammenlegung mit „Durstexpress“ stehen allein am Standort Leipzig 500 Mitarbeiter:innen vor der Entlassung. Weitere Standorte in Bochum und Berlin sind von Schließungen betroffen – insgesamt droht über 900 Mitarbeiter:innen eine ungewisse Zukunft. Wir haben uns mit dem Durstexpress-Lieferanten Konrad unterhalten und ihn zur aktuellen Situation befragt.
Hallo Konrad, vielen Dank, dass du die Zeit gefunden hast. Wie habt ihr von eurer Kündigung erfahren?
Offiziell haben wir am 20. Januar 2021 das erste Mal von der Kündigung gehört. Schon alleine das verlief sehr schräg: Wir haben eine Mail erhalten, in der uns Durstexpress beglückwünscht hat, dass der Standort in Leipzig nicht geschlossen werde. Zehn Minuten später erhielten wir eine weitere Mail. In der Betreffzeile Stand „Korrektur“ und dass der Standort Leipzig bis zum 28. Februar 2021 doch geschlossen werden soll. Somit war für uns alle klar, dass wir demnächst auch mit Kündigungen rechnen müssen.
Interessanterweise wusste das lokale Management schon vor dem 20. Januar, dass der Standort Leipzig geschlossen werden soll und wollte vermutlich nichts durchsickern lassen, da es hoffte, dass sie eine Anstellung bei dem anderen Getränkelieferanten Flaschenpost erhalten könnten. Als wir 500 Kolleg:innen letzte Woche die schriftliche Kündigung per Einschreiben von Durstexpress erhielten, wurde auch das lokale Management gekündigt.
Wie wir vermuten, ist die Entscheidung schon bei der Übernahme von dem Getränkelieferanten Flaschenpost durch die Dr. Oetker-Gruppe vorprogrammiert gewesen. Insgesamt hat die Dr. Oetker-Gruppe über eine Milliarde Euro für den Aufkauf der deutschlandweiten einzigen Konkurrenz Flaschenpost bezahlt. Ziel ist es nun, ein neues Label zu kreieren mit einer Monopolstellung in Deutschland. Ebenfalls soll das Unternehmen „schlanker“ ausgebaut werden. Hauptsächlich sind die Kolleg:innen aus Leipzig, Bochum und Berlin von den Werksschließungen und Kündigungen betroffen, da hier Flaschenpost und Durstexpress gemeinsam tätig waren.
Was wurde euch nach der Kündigung angeboten?
Mit der zweiten Mail vom 20. Januar 2021 wurde uns gesagt, dass wir uns doch einfach bei Flaschenpost bewerben könnten. In der Mail waren sogar Links zum Bewerber:innenportal der Flaschenpost-Homepage. In einem Formular konnten wir dann als Bemerkung schreiben, dass wir zuvor bei Durstexpress gearbeitet haben.
Natürlich ist das alles eine Frechheit – nicht nur, weil manche Kolleg:innen im Endeffekt nicht angenommen wurden, sondern auch, weil so die alten Verträge nicht übernommen werden müssen. So können die befristeten Beschäftigungsverhältnisse neugestaltet werden – das gilt auch für die Probezeit. Beispielsweise werden die Kolleg:innen mit ehemaliger Vollbeschäftigung so gezwungen, nochmal zwei Jahre auf ihre Entfristung zu warten. Die Verträge können zu jedem Jahresende gekündigt werden.
Das heißt auch, dass wir nochmal komplett den Bewerbungsprozess durchlaufen müssen. Das hat vor allem für die Kolleg:innen Konsequenzen, die zuvor durch gewerkschaftliche Tätigkeiten oder niedrigere Effizienz aufgefallen sind. Im gleichen Atemzug wurde den Fahrer:innen und Lagerist:innen ein Aufhebungsvertrag angeboten, um bei Flaschenpost schneller übernommen werden zu können. Doch das ist die nächste Farce: ein Aufhebungsvertrag entbindet den Arbeitgeber von der Pflicht irgendwelcher Nachzahlungen, falls uns rechtliche Schritte gegen die Werksschließung gelingen sollten. Falls Flaschenpost die Kolleg:innen dann doch nicht übernimmt, heißt das auch, dass sie bei einem Aufhebungsvertrag kein Recht auf Arbeitslosengeld haben, da ihnen ja nicht gekündigt wurde. Ein niedrigeres Gehalt gibt es bei Flaschenpost mit einem höheren Leistungsdruck obendrein. Stimmungstechnisch führt das gerade bei uns zu großen Verärgerungen und Unsicherheit. Meine Kolleg:innen und ich sind auf die Arbeit angewiesen. Darum müssen wir zusammen kämpfen!
Gab es davor schon Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber – und wenn ja, welche?
Bei Durstexpress gab es schon lange Probleme. Zugespitzt hat sich das vor circa 1 ½ Jahren, als bei der Lohnabrechnung Unregelmäßigkeiten auftraten. So wurde einigen Kolleg:innen zu wenig Lohn gezahlt. Auch das Krankengeld wurde nicht in den Lohn mit einberechnet, Urlaub zu beantragen war kompliziert und in Einzelfällen wurde überhaupt kein Lohn überwiesen. Das hat uns richtig doll frustriert!
Der Abwicklungsprozess, um dann an das Geld zu kommen, gestaltete sich als richtig schwierig. So haben wir die Zentrale in Berlin sehr schlecht erreichen können. Häufig erhielten wir über Wochen keine Antwort. Nur mit stm Druck und permanenten neuen Mails und Briefen haben sie uns dann das Gehalt überwiesen. Das mag zwar im ersten Moment so klingen, als bräuchte man da einfach den längeren Atem, aber vor allem für Kolleg:innen mit schlechten Deutschkenntnissen war das eine zusätzliche Hürde.
Ein weiteres Problem zuvor war die schlechte Schichtverteilung, die teilweise wie ein Experiment wirkte: so waren lange Schichten tagsüber sehr selten. Zusätzliche wurden die Schichten unter der Woche in kurze Schichten zerstückelt, während die Kolleg:innen in die unpopuläre Samstagsschicht gedrängt wurden. Im Herbst letzten Jahres spitzte sich die Lage zu, als uns viel zu wenige Schichten angeboten wurden. Wir sehen das als eine „kalte Kündigungstaktik“, indem uns weniger Arbeit angeboten wird und die Leute von alleine kündigen, weil sie weniger Lohn erhalten.
Wie organisiert ihr euch?
Wir haben uns zuerst als Ortsgruppe selbst organisiert und die FAU ins Boot geholt. Diese stand uns mit Rat und Tat zur Seite. Allerdings mussten wir uns klar werden, was wir wollen, brauchen und fordern. Das führte automatisch dazu, dass wir uns selbstständig im Betrieb organisiert haben.
Zuerst haben wir eine Art Anleitung geschrieben und sie als Flugblätter verteilt. Ziel war es, die Kolleg:innen über ihr Recht auf das Kranken- und Urlaubsgeld aufzuklären und zu informieren. Das hat im Betrieb für großen Ärger gesorgt und die Flyer wurden vom Management sofort wieder eingesammelt. Das hat uns auch gezeigt, dass tatsächlich keine gewerkschaftliche Arbeit seitens Durstexpress gewünscht war und ist. Allerdings hat die Aktion dazu geführt, dass Durstexpress selber anfing, seine Mitarbeiter:innen über die betrieblichen Abläufe aufzuklären.
Es war für uns in dieser Zeit sehr schwierig, weiterhin Leute zu erreichen und zu organisieren. Wir alle haben Angst gehabt, dass unsere Anonymität auffliegt und wir gekündigt werden könnten oder dass unser Vertrag nicht verlängert wird. Dennoch konnten wir weiterhin Flugblattaktionen organisieren. Außerdem gelang es uns, eine Unterschriftenliste gegen die unregelmäßige Bezahlung aufzuhängen.
Im ersten Lockdown erhielten wir einen kleinen Corona-Bonus, der in Bezug zum Umsatzboom sehr ungerecht verteilt war. So erhielten nur die Teilzeitbeschäftigten in einigen Schichten diesen Bonus. Hier forderten wir eine gerechtere Verteilung. Ebenso fingen wir an, Stunk gegen die sinnlose Schichtverteilung zu machen. Wir schrieben Mails an das Management und konfrontierten gemeinsam den Chef mit der Situation. Schon früher standen uns die Gewerkschaftsvertreter:innen der FAU zur Seite, jetzt kamen sie mit aufs Betriebsgelände. Ziel war es auch, mediale, also öffentliche, Aufmerksamkeit zu erlangen. Hier konnten wir tatsächlich als Sieger aus dem Arbeitskampf hervorgehen, denn alle Kolleg:innen konnten danach wieder ihrer Arbeit im vollen Umfang nachgehen.
Danach wollten wir eine Betriebsversammlung einberufen, um zu zeigen, dass wir alle zusammenstehen und wir uns organisieren. Hier kam uns leider Corona dazwischen, sodass wir keine große Betriebsversammlung organisieren konnten.
Natürlich gefiel dem Chef unsere Organisierung als eine Betriebsgruppe überhaupt nicht. Er began, einzelne Kolleg:innen zu befragen, welche Mitarbeiter:innen in der Betriebsgruppe sind. Außerdem begann er gezielt, zwei Teamleiter:innen von uns elektronisch abhören zu lassen, weil er vermutete, dass diese Teil der Betriebsgruppe wären – was überhaupt nicht der Realität entsprach. Als Betriebsgruppe haben wir es auch geschafft, mehrmals Thema auf großen Management-Konferenzen zu sein. Auf den Konferenzen haben die Manager anscheinend harte Einschnitte gegen alle Kolleg:innen, die sich auch in anderen Standorten organisieren wollen, beschlossen.
Vielen Dank für das Interview! Hast du noch ein paar abschließende Worte für uns?
Informiert euch über unsere Situation! Es gibt eine Website, die ihr unter „kündingdong“ finden könnt. Aber am wichtigsten ist, dass wir uns im Betrieb und Alltag organisieren, damit die Krise nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird!
Quelle: Perspektive Online