Wöchentlich Proteste: Beschäftigte der Gesundheitsbranche kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Profitlogik
Seit September schallt es jede Woche vor dem Bundesgesundheitsministerium aus Lautsprechern: »Wir sind hier, mittwochs um vier!« Die Teilnehmenden der wöchentlichen Kundgebungen der Initiative »Walk of Care« sind jung, die Form des Protestes und das jugendliche Auftreten knüpfen einerseits an die Klimaschutzproteste von »Fridays for Future« an, erinnern aber gleichzeitig an Streikposten wie etwa die Mahnwache der Beschäftigten aus der Krankenhauslogistik der Charité (CFM GmbH) vor dem Virchow-Klinikum im vergangenen Jahr.
Auszubildende und Angestellte verschiedenster Pflegeberufe haben sich über Betriebsgrenzen hinweg in einer gemeinsamen Initiative organisiert, um sich für ein gutes Gesundheitssystem und gesunde Arbeitsbedingungen stark zu machen. Auf den Kundgebungen verknüpfen sie in Redebeiträgen ihren Arbeitsalltag mit den fünf politischen Kernforderungen der »Gib uns fünf«-Kampagne und geben Außenstehenden so Einblick in die desolate Lage von Pflegenden und Patienten.
Das Thema ist ernst, nicht erst seit Ausbruch der Coronapandemie. Und das wird es trotz allen Klatschens und der Pflegezulage im öffentlichen Dienst auch noch in Zukunft sein. Denn das privatisierte Gesundheitssystem hierzulande opfert die Gesundheit von Patienten und Beschäftigten der Profitlogik des Marktes. Personalmangel, schlechte Bezahlung, Zeitdruck und ungenügende Behandlung sind die Folgen. Nur wenige der jungen Pflegerinnen und Pfleger können sich vorstellen, langfristig in dem Beruf zu bleiben. »Man will uns einreden, der Markt regele das schon, aber warum sollte er das? Welchen Gewinn habt ihr davon, dass eure Gesundheit eine Ware ist? Ihr gewinnt dadurch schlechte Pflege, längere Genesungsprozesse und unnötige Operationen. Und das Geld, das wir nach dem Solidaritätsprinzip in unser Gesundheitssystem stecken, das landet bei denen, die Aktien an unserem Krankenhaus haben«, so eine der Pflegerinnen gegenüber jW. »Wenn wir politisches Mitspracherecht für alle Gesundheitsberufe fordern, beschneiden wir damit auch die Macht der etablierten Institutionen. Und Macht wird nicht gern abgegeben«, erklärte sie weiter. Deshalb müssten alle Berufsgruppen in den entscheidenden Gremien vertreten sein.
Wie reagiert die Politik auf den Protest? Auch wenn das Thema Pflege mittlerweile eine prominentere Rolle spielt, so steht eine grundlegende Umwälzung des Gesundheitssystems in nächster Zeit nicht auf dem Zettel der Regierungsparteien. Egal, wie die Wahlen im September ausgehen. Gesundheitsminister Jens Spahn jedenfalls, der, von Personenschutz begleitet, sich ab und an auf dem Weg ins Ministerium bei den Protesten blicken lässt, wirkt eher genervt als offen gegenüber der Kritik und den Hilferufen der Pflegenden. Diese wiederum haben sich auf einen lang dauernden Kampf eingestellt. Das sorgt trotz des straffen Protestplans (jeden Mittwoch bis zur Wahl) dafür, dass die kurzen Kundgebungen energiegeladen sind und die konstante Beteiligung über Monate hinweg anhält.
Vertreter der Gewerkschaften und aktive Kollegen anderer Branchen sind bisher nur seltene Gäste. Doch erste Kontakte zu organisierten Frauengruppen und der Initiative »Hände weg vom Wedding!« wurden vor Ort geknüpft, erklärt die Initiative »Walk of Care«. Gerade jetzt sei es notwendig, sich solidarisch und kämpferisch an die Seite der Pflege zu stellen, um Forderungen auch tatsächlich gegen den Widerstand der Unternehmensführungen durchsetzen zu können. Die bisher fehlende Bezugnahme auf den Protest der Pflegenden mache deutlich, dass aktuelle und anstehende betriebliche Kämpfe in der Krise, vor allem über Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg, gemeinsam politisch geführt werden müssten. Die Initiatoren von »Walk of Care« sind entschlossen, weiter auf die Straße zu gehen und Druck zu machen, damit der Kampf um ein soziales Gesundheitssystem Zukunft haben kann.
Quelle: Junge Welt