Bericht vom Berliner Tagesspiegel über den Kampf der Geringfügig Beschäftikten um ihre Rechte:
Beschäftigte eines Berliner Supermarkts fordern Zuschläge ein, die ihnen vertraglich zustehen. Es folgt ein unschöner Streit mit den Vorgesetzten.
Es sind Worte, die Mut machen und Beistand zusichern sollen: „Danke fürs Abstand- und Zusammenhalten“, verkündet Edeka in einem ihrer Werbespots im März vergangenen Jahres, als die ersten Corona-Maßnahmen zu greifen beginnen. Unterlegt von fröhlicher Musik lächelt ein zufriedener Mitarbeiter in die Kamera.
Tatsächlich kann sich die höherpreisige Supermarktkette in Zeiten von Covid-19 glücklich schätzen. Als Unternehmen einer systemrelevanten Branche durfte Edeka Filialen geöffnet halten, Hamsterkäufe ließen die Umsätze zwischenzeitlich sogar enorm ansteigen.
Nun ist es ausgerechnet die öffentlich zu Schau gestellte Solidarität, die Angestellte einer Friedrichshainer Filiale derzeit bei ihrem Arbeitgeber vermissen. Sie prangern an, um dass das Unternehmen sie um ihre tarifvertraglichen Rechte bringen will.
Lena Thielke (Name geändert) ist eine der Unzufriedenen. Als studentische Hilfskraft räumt sie für Edeka Regale ein, um sich das Bachelorstudium zu finanzieren. Zusammen mit anderen Studierenden stieß sie beim Durchforsten der eigenen Verträge auf eine Überraschung. Edeka, so die Erkenntnis, hatte ihnen tarifrechtliche Zuschläge vorenthalten.
„Wir konnten nachlesen, dass der Tarifvertrag für alle Beschäftigten gelte“, sagt Thielke, „und zwar auch für studentische Aushilfen und Minijobber, sofern sie länger als drei Monate angestellt sind.“
Die fälligen Lohnzuschläge sind wiederum im Manteltarifvertrag festgelegt: 20 Prozent mehr Geld gibt es demnach für Arbeit zwischen 18.30 Uhr und 20 Uhr, 50 Prozent zwischen 20 Uhr und 6 Uhr und sogar 120 Prozent für Arbeit an Sonntagen.
Das sagt die Gewerkschaft Verdi
Rat suchten die Hilfskräfte laut eigener Aussage bei Verdi. Die Gewerkschaft bestätigte die Rechtmäßigkeit der Ansprüche – auch wenn diese in der Branche nicht selbstverständlich sind. Laut Erika Ritter von Verdi Berlin-Brandenburg werden studentische Hilfskräfte häufig aus den tarifvertraglichen Verpflichtungen ausgeklammert.
„Oft wird zur Voraussetzung gemacht, dass die Studierenden Mitglied in der entsprechenden Gewerkschaft sein müssen, damit der Tarifvertrag greift“, erklärt die Leiterin des Landesfachbereiches Handel. Doch bisherige Versuche der Gewerkschaft, dies als Diskriminierung vor Gericht geltend zu machen, seien immer wieder gescheitert.
In einem Schreiben von Ende August forderten die Hilfskräfte eine künftige Auszahlung der Zuschläge sowie rückwirkend für die letzten drei Monate. Dem Unternehmen setzten die Hilfskräfte hierfür eine Frist von vier Wochen.
„Genau an dem Tag, als die Frist ablaufen sollte, trudelte dann ein Brief von Edeka ein“, sagt Thielke. In ihm kündigte das Unternehmen lediglich an, die Sache prüfen zu wollen.
„Man wollte uns in eine Falle locken“
Erst mehr als einen Monat später erfolgte laut Thielke eine „mündliche Zusage“ durch den Filialleiter, dass der Forderung stattgegeben werde. Eine schriftliche Bestätigung sei jedoch bis heute ausgeblieben, sagt die Studentin: „Edeka will uns einfach nichts rechtlich Bindendes an die Hand geben.“
Weitere zwei Wochen darauf kam es beim offiziellen Gespräch mit der Geschäftsleitung zum großen Bruch. „Man teilte uns mit, dass dem Unternehmen ein blöder Fehler unterlaufen sei“, sagt Thielke, „und den würde man jetzt gerne beheben.“ Ihr Vorgesetzter habe daraufhin Verträge zum ausgegeben, mit denen die Hilfskräfte abgespeist werden sollten.
In den Dokumenten sei nicht nur der Anspruch auf jegliche Zuschläge ausgeklammert worden, man habe sie zugleich um einen Monat zurückdatiert, um frühere Ansprüche zunichte zu machen. Thielke fühlt sich betrogen: „Man wollte uns in eine Falle locken, nichts anderes.“ Anstatt für seine Belegschaft einzustehen habe sich der Filialleiter „wie eine Marionette“ verhalten.
Die Gruppe der Beschäftigten lehnten die Unterzeichnung, auch auf Empfehlung des Betriebsrats, ab. Die eingeforderten Zuschläge zahlte Edeka daraufhin Ende November aus, jedoch nicht für die Minijobber:innen – und nicht ohne ein Nachspiel. Auslaufende Verträge derjenigen, die sich an dem Widerstand beteiligt hatten, seien laut Thielke trotz gegenteiligem Versprechen bei der Einstellung nicht verlängert worden.
Edeka hält sich auf Nachfrage bedeckt
Auf Nachfrage des Tagesspiegels hält sich die für Berlin zuständige Edeka-Zentrale in Minden bei Hannover bedeckt: Man tätige „grundsätzlich keine Aussagen zu Details von arbeitsvertraglichen oder arbeitsrechtlichen Vorgängen“.
Als tarifgebundenes Unternehmen arbeite man in unterschiedlichen Bereichen mit Aushilfen. „Dabei gibt es selbstverständlich auch bei uns Unterschiede in der Bezahlung“, heißt es von Seiten der Pressestelle. Zudem sei es üblich, dass Edeka mit befristeten Verträgen arbeite. Dies gelte nicht nur für Aushilfen.
Bei den Hilfskräften jedoch sorgt das Verhalten des größten Lebensmitteleinzelhändlers für Frust und Unverständnis: „Obwohl das Unternehmen so gut dasteht in Zeiten der Pandemie, druckst man wegen ein paar Euros rum“, sagt Thielke. Weder interessiere man sich für die Anliegen der Belegschaft, noch sei man in der Lage, mit ihr angemessen zu kommunizieren.
Auch nach Auszahlung der Zuschläge will sich die Anspannung in der Filiale nicht beruhigen. „Jetzt ist man bei Edeka damit beschäftigt, uns Übriggebliebene um die restlichen Zuschüsse zu bringen“, meint Thielke.
Ein Kollege habe seit drei Wochen nicht mehr gearbeitet. Anstatt seine Überstunden auszuzahlen, habe Edeka diese in Urlaubstage umgerechnet – „wieder mal ohne Absprache“.
Erika Ritter wittert einen auch hier üblichen, tatsächlich aber unrechtmäßigen Vorgang. „Wenn kein Einverständnis vorliegt, könnte es sich um Annahmeverzug handeln“, erklärt die Verdi-Vertreterin. Dies hänge davon ab, wie die Arbeitszeiterbringung im Vertrag geregelt sei: „Häufig wissen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allerdings nicht, von ihren Rechten Gebrauch zu machen.“
Lena Thielke und ihre Mitstreiter:innen hingegen scheinen es gelernt zu haben. Das Ringen mit Edeka ist für sie noch nicht vorbei. Noch habe man nicht das bekommen, was per Vertrag zugestanden wurde, sagt Thielke. Das Engagement bereut sie jedoch nicht: „Wir sind stolz darauf, dass wir uns zur Wehr setzen.“
Quelle: Tagesspiegel