Interview mit Betriebskampf in der Perspektive

Die unabhängige Zeitung Perspektive hat Betriebskampf für seiner Berichterstattung über die Tarifverhandlungen der Länder interviewt.

Das unabhängige Arbeiter:innennetzwerk “Betriebskampf” organisiert Arbeiter:innen für ihre Interessen und unterstützt betriebliche wie auch politische Kämpfe. Wir haben mit Betriebskampf über die anstehende Tarifrunde der Länder gesprochen. – Ein Interview

Ende Oktober beginnen die Tarifverhandlungen der Beschäftigten imöffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Welche Bedeutung haben die Tarifverhandlungen?

Der TV-L gilt für 1,2 Millionen Beschäftigte, die bei den Bundesländern und landeseigenen Unternehmen angestellt sind. Außerdem gibt es viele Beschäftigte, zum Beispiel bei den freien Trägern der Sozialen Arbeit, die angelehnt an den TV-L bezahlt werden. Damit würden auch diese von möglichen Lohnerhöhungen profitieren.

Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Lebenshaltungskosten, besonders bei Mieten, Lebensmitteln und Energie, wird die Erreichung eines möglichst hohen Tarifabschlusses für viele zu einer existenziellen Frage.

Ein hoher Tarifabschluss ist dabei auch notwendig, um die Abwanderung von immer mehr Arbeitskräften aus den betroffenen Bereichen, wie z.B. der Erziehung, zu verhindern. Der Personalmangel stellt viele öffentliche Einrichtungen, Schulen und Kitas vor große Herausforderungen, z.B. in der Betreuung von Kindern. Auch in der öffentlichen Verwaltung können tausende Planstellen nicht besetzt werden, sodass man z.B. in Berlin Monate auf Dokumente warten muss.

Uns stellt sich also nicht nur die Frage einer besseren Entlohnung der Beschäftigten, sondern es geht auch darum, über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen den Personalmangel zu überwinden und so öffentliche Dienstleistungen zu gewährleisten, die wir Tag für Tag nutzen.

Bereits in der letzten Tarifrunde haben die Beschäftigten eine drastische Reallohnsenkung hinnehmen müssen. Ein Grund mehr für eine kämpferische Tarifrunde?

Die Reallohnsenkungen der letzten Tarifrunde 2021 – mit einer Nullrunde für 13 Monate und danach einer Erhöhung um 2,8% – sowie die weiter anhaltenden Preissteigerungen setzen die Forderung nach einer zweistelligen Lohnerhöhung auf die Tagesordnung. Unserer Einschätzung nach müssten es 20% bei einer Laufzeit von 12 Monaten sein. Ver.di hat nun Forderungen von 10,5% aufgestellt.

Daran sehen wir, dass ver.di, die verhandelnde Gewerkschaft, nicht konsequent die Interessen der Beschäftigten vertritt. Die schönen Forderungen am Anfang jeder Tarifrunde werdeschnell abgeschwächt und das Streikpotenzial nicht annähernd ausgeschöpft. Der Ansatz der Sozialpartnerschaft fährt den Beschäftigten eine Niederlage nach der anderen ein, so wie bei der TVöD-Runde diesen Frühling.

Den selbstorganisierten Protest von über 400 Sozialarbeiter:innen am 4. Juli 2023 in Berlin gegen die chronische Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendnothilfe sehen wir als ein kämpferisches Beispiel, um den Druck in den Betrieben aufzubauen.

Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst (TVöD) hat in diesem Jahr bereits weitere Reallohnsenkungen für die nächsten zwei Jahre für 2,5 Millionen Arbeiter:innen gebracht. Wie wird sich das Ergebnis auf den TV-L auswirken?

Der TVöD hat keine verbindlichen Auswirkungen auf den TV-L. Jedoch ist ver.di auch dort die verhandelnde Gewerkschaft gewesen. Für den TV-L ist ein ähnlicher Abschluss zu befürchten, d.h. eine hohe Laufzeit von 24 Monaten, geringe Lohnerhöhungen in mehreren Schritten. Der Reallohnverlust wird dann mit steuerfreien Direktzahlungen kaschiert. Es braucht aber tabellenwirksame Lohnerhöhungen, da die Preise ja auch dauerhaft hoch bleiben.

Wir müssen unsere Kolleg:innen organisieren, um den Druck in den Betrieben und auf den Straßen aufzubauen. Nur so besteht die Chance, ver.rdi zu ernstzunehmenden Tarifverhandlungen und die Vertreter der Länder zu realen Lohnerhöhungen zu zwingen.

Wie sind die einmaligen Inflationsausgleichszahlungen oder zeitlich begrenzte monatliche Sonderzahlungen zu bewerten, die bei zahlreichen Tarifverhandlungen in den letzten Jahren verhandelt wurden?

Die Nettozahlungen werden benutzt, um einen tatsächlichen Inflationsausgleich durch Lohnerhöhungen auf die lange Bank zu schieben bzw. komplett zu verhindern. Gleichzeitig sehen die Nettozahlungen gut aus bei der Präsentation der Ergebnisse. Der Verlust gegenüber einer prozentualen Lohnerhöhung muss erst berechnet werden. Der Reallohnverlust existiert trotz Einmalzahlungen und wird sich insbesondere in den kommenden Jahren im weiteren Sinken des Lebensstandards von immer mehr Arbeiter:innen bemerkbar machen.

Was sind eure konkreten Planungen für die Zeit der Tarifrunde?

Wir werden gemeinsam mit unseren Kolleg:innen und anderen Organisationen den Kampf für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gegen den Sozialabbau lautstark auf der Straße vertreten! Dafür planen wir unter anderem mit dem ‘Solidaritätsbündnis Soziale Arbeit’ eine Demonstration für den 21.10. in Berlin. Wir werden unsere gemeinsamen Standpunkte im Sinne aller Arbeiter:innen auf die Straße tragen. Ob nach Tarif bezahlt, daran angelehnt oder von der Kürzung der öffentlichen Leistungen Betroffene – wollen wir gemeinsam aktiv werden und den Schulterschluss mit anderen Arbeitskämpfen suchen, z.B. der Krankenhaus-Bewegung.

Von ver.di gibt es Termine für drei Verhandlungsrunden. Wir werden uns an Protesten beteiligen und zu den Warnstreiks mobilisieren. Gleichzeitig wollen wir die Auseinandersetzung der Beschäftigten im Betrieb fördern und die Tarifrunde für die Vernetzung von Betriebsgruppen, Aktivist:innen und interessierten Kolleg:innen nutzen. Denn während es an mancher Stelle Anläufe für die Aufnahme betrieblicher Kämpfe gibt, finden sich in anderen Bereichen große Leerstellen, während sich gleichzeitig Kolleg:innen an uns wenden, um auch dort aktiv zu werden.

Weiterhin beteiligen wir uns an der Solidaritätskampagne für Inés, eine Sozialarbeiterin und Gewerkschafterin, der aufgrund ihrer betrieblichen Aktivität von ihrem freien Träger gekündigt wurde. Sie hat an ihrer Schule Kolleg:innen über die Kürzungen des Berliner Senats informiert und die Einbeziehung von Sozialpädagog:innen in die laufenden Streiks der Lehrer:innen angeregt. Das wird in der Kündigung als Aufruf zum wilden Streik gewertet.

Wir stehen zusammen, mit Inés, den Sozialarbeiter:innen und allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Wir lassen uns nicht unterkriegen und legen damit heute den Grundstein für eine klassenkämpferische Arbeiter:innenbewegung von morgen.