TVöD: Verdi organisiert Reallohnsenkungen – was heißt das für kämpferische Kolleg:innen?

Die Streikbereitschaft war groß. Dennoch haben die Verhandlungsführer:innen von Verdi und DBB in den Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) am Sonntag dem Angebot von Bund und Kommunen für eine dauerhafte Senkung der Reallöhne in den nächsten Jahren zugestimmt. Die verhandelten dauerhaften Verluste bewegen sich zwischen fünf und acht Prozent. Als Netzwerk kämpferischer Kolleg:innen lehnen wir das klar ab. Ws können wir tun?

Die Streikbereitschaft war groß. Dennoch haben die Verhandlungsführer:innen von Verdi und DBB in den Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) am Sonntag dem Angebot von Bund und Kommunen für eine dauerhafte Senkung der Reallöhne in den nächsten Jahren zugestimmt. Die verhandelten dauerhaften Verluste bewegen sich zwischen fünf und acht Prozent. Als Netzwerk kämpferischer Kolleg:innen lehnen wir das klar ab. Was können wir tun?

Um nachvollziehen zu können, was das Verhandlungsergebnis letztlich für uns in der Realität bedeutet – also wie viel wir wirklich für unseren Lohn einkaufen können – muss man sich etwas tiefer durch die Zahlenberge graben.

Zuerst einmal zu den dauerhaften Erhöhungen die verhandelt wurden: Die Einkommen der Beschäftigten sollen ab dem 1. März 2024 tabellenwirksam um einen Sockelbetrag von 200 Euro plus 5,5 Prozent steigen. Laufen soll der Tarifvertrag bis Ende 2024. Bei der extremen Preisexplosion in diesem und den nächsten Jahren bedeutet das eine massive reale Senkung unserer Löhne zwischen 5 und 8 Prozent.

Um zu dieser Einschätzung der Lage zu kommen müssen wir den letzten Tarifabschluss mit einbeziehen. Dieser wurde im Oktober 2020 abgeschlossen. Über 28 Monate sollten die Gehälter um gerade einmal 3,2 Prozent steigen. Schon damals war klar, das wird mindestens eine Nullrunde – heute wissen wir: die Gewerkschaften haben mit der langen Laufzeit sogar einen Reallohnverlust für die Beschäftigten organisiert. Denn von damals bis Ende 2022 stiegen die Preise um 13%. Der Reallohnverlust liegt seit dem letzten Abschluss also bei etwa 9,8%.

Für das Jahr 2023 erwarten Konjunkturforscher:innen eine Inflationsrate zwischen 5,3 und 7,2 Prozent, für das Jahr 2024 wird eine Inflationsrate zwischen 2,1 und 4,1 Prozent vorausgesagt. Nehmen wir das jeweilige Mittel, so können wir für die kommenden beiden Jahre mit einer weiteren Inflation von insgesamt 9,3% rechnen.

Um Ende 2024 auf einem Lebensstandart von Oktober 2020 zu bleiben, also unsere Reallöhne zu erhalten, bräuchte es dementsprechend eine Erhöhung unserer Gehälter um mindestens 19,1%.

Was würde nun der neue Abschluss bedeuten? Schauen wir uns dafür die Rechenbeispiele an, die Ver.di dazu selber aufstellt.

Eine Erzieherin (in Entgeltgruppe S8a/Stufe 6) mit derzeit 3.979,52 Euro brutto Monatseinkommen erhielte Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 4.409,39 Euro; das heißt 429,87 Euro (10,8 Prozent) mehr.
→ Reallohnverlust: etwa 8,3 Prozent

Ein Müllwerker (in Entgeltgruppe EG3/Stufe3) mit derzeit 2.660,65 Euro monatlichem Bruttogehalt brutto Monatseinkommen erhielte am Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 3.017,99 Euro; das heißt 357,34 Euro (13,4 Prozent) mehr.
→ Reallohnverlust: etwa 5,7 Prozent

Eine Pflegefachkraft (in Entgeltgruppe P8/Stufe 4) mit derzeit 3.448,44 Euro monatlichem Bruttogehalt brutto Monatseinkommen erhielte am Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 3.849,10 Euro; das sind 400,66 Euro mehr (11,6 Prozent).
→ Reallohnverlust: Etwa 7,5 Prozent

Die Erhöhungen der Ausbildungsentgelte ab März 2024 um 150 Euro ist derweil nicht mal der Rede wert. Hier gibt es sowieso eine grundsätzliche Unterbezahlung, die durch die lächerliche Erhöhung nur noch einmal unterstrichen wird.

Es ist eindeutig: der Abschluss wird als einer der „höchsten der Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet. Tatsächlich zementiert er für uns jedoch eine massive Reallohnsenkung.

Aber die Einmalzahlungen?

Von Verdi-Seite wird dabei noch oft auf die Einmalzahlungen von 3000 Euro als „Inflationsausgleich“ verwiesen. Dabei ist es ja gerade das nicht! Die Preise werden doch in Zukunft nicht wieder sinken – sondern möglicherweise lediglich langsamer steigen. Der einzige wirkliche „Inflationsausgleich“ sind deshalb dauerhafte Lohnerhöhungen.

Na klar: einen Bonus von 3000 Euro kann jede und jeder derzeit gut gebrauchen. Doch was für eine gewisse Zeit auf unserem Konto ist, ist schneller aufgebraucht als man gucken kann und dann finden wir uns Ende 2024 mit einem dauerhaft gesenkten Lebensstandart wieder.

Kampfbereit

In den Verhandlungen standen sich Parteikolleg:innen gegenüber. Die Verhandlungsführung wurde von Verdi-Chef Frank Wernke übernommen, der selber SPD-Mitglied ist. Auf der „Gegenseite“ standen dabei seine Parteikolleginnen Nancy Fraeser (SPD) für den Bund und Karin Welge (SPD) für die Kommunen. Sozialdemokraten unter sich.

Die vorangegangenen Streikaktionen wie z.B. am 3. März mit Fridays for Future oder am 8. März zusammen mit der Frauenbewegung hatten in eine richtige Richtung gewiesen und sind dann sogar in einem gemeinsamen Streiktag mit der EVG am 27. März („Megastreik“) gegipfelt. Die Kampfbereitschaft in der Belegschaft war da, die Dynamik auch. Und doch wurde sie von Verdi nicht ausgespielt, sondern sich auf eine krasse Reallohnsenkung eingelassen.

Vielleicht wollten sie sich nicht nochmal die Blöße geben erst alle Kolleg:innen über den Vollstreik wie bei der Post abstimmen zu lassen, nur um dann doch kurz vorher einzuknicken?

Selber organisieren

Es ist nicht das erste Mal, dass eine DGB-Gewerkschaft die Kampfkraft nicht ausschöpft – letztlich sogar Verarmung für ihre eigenen Mitglieder organisiert und damit nicht auf unserer Seite steht. Und es wird nicht das letzte Mal sein, denn Ziel und Ausrichtung der DGB-Gewerkschaften ist die Sozialpartnerschaft, also der organisierte Klassenkompromiss zugunsten des Kapitals, statt Klassenkampf.

Was bedeutet das für kämpferische Arbeiter? Den Gewerkschaften den Rücken kehren? In der Pause meckern aber letztendlich doch nichts tun? Eine breite Kampagne gegen die Annahme des Tarifvertrags zu organisieren?

Für jedes Gerwerkschaftsmitglied unter uns muss natürlich klar sein: dieser Tarifvertrag ist abzulehnen und so sollte auch in die Befragungen gegangen werden, die bis zum 15. Mai laufen.

Doch „Druck von unten“ wird uns da nicht weit bringen. Es gilt sich mit kämpferischen Kolleg:innen innerhalb und außerhalb der Gewerkschaft zusammenzuschließen zu vernetzen und ein klassenkämperisches Netzwerk aufzubauen, mit dem wir wirklich konsequent für unsere Klasseninteressen kämpfen können.