An 20 Berliner Kitas des Humanistischen Verbands wird gestreikt. Die Beschäftigten wollen denselben Lohn wie die Kolleg*innen im öffentlichen Dienst.
Am Montagmorgen tollen die Kinder in der humanistischen Kita „Felix“ noch vergnügt über ihren Spielplatz. Im Schatten der ringsherum aufragenden Plattenbauten in Marzahn wühlen sie im Sandkasten und spielen Fangen. Ein Junge hat seinen rechten Schuh verloren. Am Mittwoch werden diese Kinder wohl zu Hause bleiben müssen. Denn dann haben die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Bildungsgewerkschaft GEW die rund 1.400 Beschäftigten des Humanistischen Verbands (HVD) Berlin-Brandenburg zum Streik aufgerufen.
Eine derjenigen, die am Mittwoch streiken wird, ist Kathrin Becker. Die Erzieherin arbeitet seit über 20 Jahren in der Kita „Felix“. Sie sagt: „Um ehrlich zu sein, wir fühlen uns verarscht.“
Der Grund für Beckers Wut: Am 2. September hatte der Humanistische Verband, Träger der Kita „Felix“, die über zwei Jahre andauernden Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag abgebrochen. Die Forderungen der Gewerkschaften würden den Verband in den wirtschaftlichen Ruin treiben, schrieb der Vorstand. Stattdessen strebt der Träger jetzt eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat an. Der ist allerdings nicht berechtigt, zum Streik aufzurufen. Die Gewerkschaften wittern Tarifflucht.
Dass der Konflikt derart eskalieren konnte, liegt an seiner grundsätzlichen Bedeutung. Denn es geht um mehr als den alljährlichen Kampf für bessere Bezahlung: Vielmehr geht es um die Frage, ob die Beschäftigten bei freien Trägern für die gleiche Arbeit zukünftig den gleichen Lohn wie ihre Kolleg*innen im öffentlichen Dienst bekommen.
Tariflücke ist seit Jahren bekannt
Dass es eine Tariflücke bei freien Trägern gibt, ist seit Jahren bekannt. Bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation verdienen Beschäftigte dort meist weniger als ihre Kolleg*innen im öffentlichen Dienst. Denn dort gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder. Viele freie Träger hingegen haben gar keinen Tarifvertrag, oder nur einen Haustarifvertrag, der meist unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes liegt.
Die Verhandlungen beim HVD haben somit Signalwirkung: Gelingt es den Gewerkschaften, eine Angleichung an den öffentlichen Dienst durchzusetzen? Oder gehen die freien Träger denselben Weg wie viele kirchliche Arbeitgeber und entlohnen ihre Beschäftigten nach einem eigenen System? Derzeit gilt beim HVD ein Haustarifvertrag, der im Niveau zwar unter dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes liegt, diesem in seiner Struktur jedoch ähnelt. Das Ziel der Gewerkschaften ist klar: Sie wollen diesen Tarifvertrag weiterentwickeln und langfristig an den öffentlichen Dienst angleichen.
Der HVD will dies jedoch unbedingt verhindern. Denn es geht um viel Geld. Bei einer Angleichung an den öffentlichen Dienst kämen zusätzliche Personalkosten in Millionenhöhe auf ihn zu. Dabei werden sowohl freie Träger als auch öffentliche Einrichtungen in Berlin vonseiten der Landeskasse genau gleich ausfinanziert, im kommenden Jahr sollen es 95 Prozent für Personal- und Sachmittel sein. Allerdings ist diese Kostenpauschale nicht zweckgebunden: Die öffentlichen Träger müssen Tariflohn zahlen, die freien Träger können bei den Personalkosten sparen. Aktuell verdient eine Kita-Erzieherin beim Humanistischen Verband je nach Erfahrungsstufe 272 bis 685 Euro Bruttolohn weniger als eine Erzieherin im öffentlichen Dienst.
Der HVD schlägt nun eine „differenzierte Entgeltstruktur“ vor, der Gehaltserhöhungen vorsieht. Allerdings würden sich auch die Arbeitszeiten verlängern und die Struktur der Bezahlung würde sich grundsätzlich ändern. Anstatt wie im Tarifvertrag nach Tätigkeit und Qualifikation zu bezahlen, möchte der HVD eine Bezahlung durchsetzen, die sich an seiner eigenen Finanzierung orientiert. Denn je nachdem ob Land, Bezirke oder andere Geldgeber ein Projekt finanzieren, unterscheiden sich die Mittel, die dem Verband zur Verfügung stehen.
Der für Verdi verhandelnde Gewerkschaftssekretär, Ivo Garbe, kritisiert eine solche Struktur jedoch scharf: „Wenn es nach dem Vorschlag des Verbands geht, würden einige Erzieher*innen mit gleicher Qualifikation und vergleichbar schwierigen Tätigkeiten in Zukunft 124 bis 233 Euro im Monat weniger verdienen, nur weil sie etwa in Projekten mit Jugendlichen arbeiten, und nicht als Erzieher*in in einer Kita.
Wie eine Lösung des Konflikts aussehen könnte, ist unklar. Denn der Betriebsrat, mit dem die Geschäftsführung verhandeln möchte, unterstützt die gewerkschaftlichen Forderungen nach einer Angleichung an den öffentlichen Dienst.
„Der Vorstand sollte sich mit uns dafür einsetzen, dass wir angemessen bezahlt werden“, sagt Sozialarbeiter Jörn Brenssell. „Wir würden uns dann gemeinsam mit ihm dafür einsetzen, dass Bund und Land in den Refinanzierungsrunden auch das entsprechende Geld bereitstellen.“
Die politischen Vorzeichen für ein solches Vorhaben stehen günstig. Denn einen Großteil seines Etats bezieht der Humanistische Verband vom Land Berlin. Und im Senat hatte man bereits 2017 den grundsätzlichen Wunsch geäußert, die Bezahlung bei freien Träger langfristig an den Tarifvertrag der Länder anzugleichen. Auf Anfrage der taz schreibt der Humanistische Verband jedoch auch, dass es für eine Angleichung verbindliche finanzielle Zusagen vom Land und den Bezirken bräuchte. Erschwerend komme hinzu, dass nicht alle Projekte des Verbands von einer besseren Finanzierung des Landes profitieren würden.
Sicher ist: Mit dem Streik am Mittwoch geht der Streit nun erst mal in die nächste Runde.
Quelle: TAZ